Themabewertung:
  • 3 Bewertung(en) - 3.33 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
[TC2] Avokin;Carol
Beitrag: #1
vom - [TC2] Avokin;Carol
[Bild: awoken_carol.png]

Jahr: 14998
Tag: 23. Dezember, Freitag

Das Wetter in The City war schon immer ein Rätsel für Wissenschaftler weltweit. Seitdem die Meere ausgetrocknet waren, Regenwälder abgeholzt wurden und der Mond seine Umlaufbahn um The City verändert hatte wurde es nahezu unmöglich vorherzusehen, welches Wetter wann und wo eintreten würde. Führende Wissenschaftler arbeiten seit Jahrtausenden daran, um das Rätsel des Wetters zu lösen, doch bisher mit nur sehr geringem Erfolg. Man ist nun so weit, anhand von Luftfeuchtigkeitsmessungen das Wetter an einem Ort für den nächsten Tag vorzusagen doch sogar dies ist noch unerprobt und unzuverlässig.“
„Gut, setz dich.“ meinte die Lehrerin, nachdem ein Mädchen den Absatz aus ihrem Geografiebuch fertig gelesen hatte. „Carol, setzt du bitte fort.“

„Carol.“

„Carol Scrooge!“
Ein verträumtes Mädchen in der letzten Reihe schrak auf und der Anblick ihres verwirrten Gesichtes ließ Gelächter in der Klasse aufkommen.
„Ruhe!“ fauchte die Lehrerin dazwischen. „Carol, lies bitte weiter.“
Das Mädchen seufzte und blickte verträumt zum Fenster hinaus. „Miss Marley, ist es wirklich nötig übers Wetter zu lernen, wenn es draußen schneit?“
Die Augen aller anderen Schüler wandten sich nun auch den Fenstern der Klasse zu. Tatsächlich schneite es draußen schon den ganzen Tag. Sonnenschein war in The City der Standard, Regen war schon selten, etwas anderes sah man vielleicht einmal in zwei Jahren, wenn man nicht an bestimmten Orten mit besonderen Wetterphänomenen lebte.
Hier, neunzig Grad nördliche Breite, null Grad östliche Länge lag Northtown. So werden dieser geografische Punkt und alles, das sich innerhalb von mehreren 1000 Kilometern in seiner Nähe befindet, bezeichnet. Hier war es das ganze Jahr über recht kalt und es schneite jährlich für zirka eine Woche. Mit dem heutigen Tag hatte eben diese Woche für dieses Jahr begonnen und zur Freude aller war es noch dazu einen Tag vor Weihnachten – was für ein Wunder!
Auch die Lehrerin ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen, wo die weiße Pracht langsam vorbei schwebte. Sie seufzte. „Okay, ich lass euch nach dieser Stunde in die Ferien gehen unter der Bedingung, dass ihr jetzt noch eine halbe Stunde mitmacht.“
Alle Schüler in der Klasse wurden hellhörig. „Danke Miss Marley!“ riefen sie in Einheit aus.

„Diese doofe Kuh.“
Die Stunde war vorbei und Carol war mit ihren Freundinnen in der Garderobe der Schule.
„Die hat tatsächlich in einer halben Stunde den Stoff für diese und die gestrichene Stunde durchgezogen. Ich kann es nicht fassen.“ beschwerte sie sich, woraufhin eine ihrer Freundinnen seufzend zustimmte. „Und noch schlimmer ist, dass sie uns in der nächsten Geografie Stunde einen Test darüber schreiben lässt.“ meinte diese genervt. Carol zog sich eine teure Jacke über und blickte zur gläsernen Eingangstür der Schule, durch welche hindurch sie den fallenden und liegengebliebenen Schnee erblickte. So genervt sie auch von ihrer Lehrerin war, musste sie nun lächeln.
„Zumindest lässt sie und früher gehen.“ bemerkte sie lächelnd. „Über den Test kann ich mich sorgen, wenn er da ist.“ Ihr Freundinnen stimmten ihr da zu und zusammen gingen sie nach draußen.

Die Schule die Carol und ihre Freundinnen besuchten war eine reine Mädchenschule für reiche Leute. Carol Scrooge, ein 14-jähriges blondes Mädchen mit intelligent wirkenden, kalten grünen Augen war die schlechteste Schülerin ihrer Klasse. Zu ihrem Glück waren ihre Freundinnen immer tatkräftig bei der Sache, ihr beim Lernen unter die Arme zu greifen, damit sie nicht völlig zurück blieb. Carol war nicht dumm, jedoch viel zu faul. Die Schule interessierte sie rein gar nicht. Sie ging nur dort hin, um ihre Freunde zu treffen und um ihre Eltern glücklich zu machen.
Viel mehr Spaß hatte sie damit, Unmengen von Geld für nutzloses Zeug auszugeben. Es gab kein Problem damit, Sachen zu kaufen, die sie vielleicht nur einmal benutzten würde und dann nie wieder. Ihre Eltern waren reich. Stinkreich.
Ihr Vater war der Bürgermeister von Northtown. Der Bürgermeister eines Stadtteils von The City zu sein war ein sehr hochangesehener Posten und unbeschreiblich gut bezahlt. Carol musste niemals überlegen, ob sie sich etwas leisten konnte oder nicht.
Den meisten ihrer Freundinnen ging es nicht anders. Es war ein Leben ohne offene Wünsche, oder?

Nicht so ganz. Als Carol in ihrem großen, geräumigen Zuhause, dessen Inneres mehr an ein Schloss erinnerte, ankam und ihre Schultasche gemütlich in eine Ecke stellte hörte sie bereits das bekannte Geräusch der nahezu totalen Stille. Ein Butler kam, begrüßte sie und entschuldigte sich dafür, ihr nicht die Tür geöffnet zu haben, da er sie nicht so früh zurück erwartet hatte. Sie sagte nichts dazu und ließ sich in das Esszimmer begleiten, wo ein großer leerer Tisch auf sie wartete. Minuten später brachte man ihr etwas zu essen, dann ging sie in ihr Zimmer. „Hallo Mama, ich bin heute etwas früher zu Hause, freust du dich?“ sprach sie gegen eine Wand und lächelte gebrochen. „Aber natürlich freue ich mich Carol, lass dich umarmen.“ sprach sie dann in verstellter Stimme weiter und schlang ihr Arme um sich selbst. Sie stand so eine knappe Minute alleine im Raum bis sie seufzte und sich ins Bett fallen ließ.



Es war früher Nachmittag und auch ein anderes Mädchen war gerade von ihrer Schule nach Hause gekommen, doch definitiv war es in ihrem Fall keine Schule für reiche Mädchen, sondern eine gemischte Schule für normale Leute und auch kein großes geräumiges Zuhause, sondern ein kleines fünf Zimmer Appartement. Ihr Name war Avoki Zopas, ein lilahaariges Mädchen mit klaren grünen Augen, ebenfalls 14 Jahre alt. Unachtsam warf sie ihre Schultasche in eine Ecke und ging in die Küche um zu sehen ob ihr Vater zu Hause war und etwas kochte. Natürlich war es nicht so.
Ein Briefumschlag glitt aus der rechten Hand des Mädchens auf den Boden, während sie starr im Türrahmen stand.
„Warum mach ich mir überhaupt die Hoffnung? Er ist seit drei Tagen nicht mehr nach Hause gekommen. Auch wenn ich etwas Wichtiges zu besprechen habe, er ist nie da.“
Stumm hob das Mädchen den Briefumschlag auf, legte ihn auf dem Küchentisch ab und begann sich selbst ein Mittagessen zu kochen. Während des Essens öffnete Avoki den Briefumschlag und las sich das von der Schule abgestempelte Papier durch. Kurz gesagt hieß es, es wurde ihr die Erlaubnis erteilt, zwei Klassen aufgrund von Hochbegabung zu überspringen. Fast hätte das Mädchen den Brief zu einer Papierkugel geknüllt und weggeworfen, doch hielt sie sich zurück. Warum musste alles so schwierig sein?

In der Schule schaffte sie es nicht, auch nur eine einzige Freundschaft zu schließen. Jeder hasste sie entweder für ihre Hochbegabung oder ihre Krankheit, Narkolepsie, aufgrund welcher sie ohne Vorwarnung einschlief. Es war schwer mit ihr normal zu reden, so fanden es zumindest die anderen. Auch die Lehrer konnten sie nicht leiden. Manchmal schlief sie mitten im Unterricht ein und wenn sie wach war übertraf sie manchmal die Lehrer in deren eigenen Fachrichtungen. Ihr Schulleben war voller Erfolge, doch neben überdurchschnittlich guten Noten brachte sie nahezu genauso viele blaue Flecken mit nach Hause, dank Schülern, die deren Wut nicht nur durch Mobbing an ihr ausließen.

Zu Hause ging es ihr nicht viel besser. Sie lebte alleine mit ihrem Vater, welcher nur noch betrunken zu Hause oder in Bars herum saß und sich nahezu gar nicht mit ihr beschäftigt. Ja, es war wirklich ein Wunder wenn er tatsächlich in der Küche stand, wenn sie nach Hause kam und sie bei seinem gekochten Malzeiten mitessen ließ. Ihr Vater war noch vor nicht allzu langer Zeit ganz anders gewesen. Er war zu dem geworden, was er nun war, nachdem Avokis Mutter vor zwei Monaten gestorben war.

Avokis Mutter, Katarina Zopas, war eine Wissenschaftlerin gewesen und hatte an einem Projekt gearbeitet, welches Genmutationen und deren Auswirkungen erforschte. Avoki hatte ihre Mutter immer geliebt und hatte immer gelernt um irgendwann auch eine ausgezeichnete Wissenschaftlerin zu werden.
Nach dem Tod ihrer Mutter jedoch, aufgrund von Aufzeichnungen die sie unter deren Habsachen fand, erfuhr sie worum es in deren Projekten wirklich gegangen war, was die Idol-Stellung ihrer Mutter für sie ins Wanken brachte. Projekt Reiuzi beschäftigte sich damit, Straßenkinder zu fangen und an ihnen herumzuexperimentieren. Der Name kam von dem einzigen Projekt das wohl alle Tests zu überstehen schien. Avoki hatte gar nicht mehr darüber lesen wollen, doch ihre Wissbegierde hatte sie jedes kleinste Detail über das Projekt in Erfahrung bringen lassen. Sie hasste nun ihre korrupte Mutter, sie hasste ihren nutzlosen Vater, sie hasste ihre verächtlichen Mitschüler und Lehrer. Was würde es ihr bringen zwei Schulstufen zu überspringen? Wollte sie überhaupt noch eine Wissenschaftlerin werden? Warum gab es keinen Weg alles zu vergessen, dass sie bis jetzt gelernt hatte. Sie hatte Wissenschaften… nein, sie hatte alles zu lieben begonnen, das mit Wissen zu tun hatte.

Das Mädchen schlug ihre Stirn an die Tischkannte und sah nur Sekunden später wie ein dünner Rinnsal an Blut über ihre Stirn, zwischen ihren Augen und über ihre Nase zu ihren Lippen floss. Starr ließ sie das Blut für einige Minuten fließen, bis sie plötzlich wieder ganz zu sich kam und sich nach einem kurzen Sprint im Badezimmer ein Pflaster auf die Stirn klebte.
„Das war dumm… mh. Es tut weh, dumm zu sein.“

Da sie nicht wusste, was sie tun soll ging das Mädchen in ihr eigenes Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Still starrt sie an die Decke und dachte nach. Es hatte keinen Sinn alles zu vergessen.
Nur weil ihre Mutter mit ihrem Wissen nur Blödsinn angestellt hatte, hieße dies nicht, dass sie denselben Fehler machen musste. Trotzdem, ihr Leben konnte so nicht weitergehen, soviel wusste sie.



Carol war in ihrem Bett eingenickt und kam erst eineinhalb Stunden später wieder zu sich. Nichts hatte sich seitdem geändert. Stille herrschte vor, ihre Eltern waren nicht da und sicherlich würden sie auch am nächsten Tag keine Zeit für sie haben. Es war ja nur Weihnachten. Bunte Lichter, nutzlose Geschenke. Am liebsten würde sie ja etwas mit ihren Freunden unternehmen, doch diese hatten ja alle Familien, die für sie da waren. „Verdammter Müll.“ knurrte sie, während ein eisblauer Schimmer sich über ihre Augen zog und die Lufttemperatur im Zimmer des Mädchens rapide absank. Ja, sie war eine Mutantin mit der Kontrolle über Schnee, Eis und Kälte, doch so selten sie diese nutze war es nicht wirklich der Rede wert.
Wütend sprang sie aus ihrem Bett und verließ ihr Zimmer. Fernsehen? Langweilig. Nach draußen, frische Luft, Schnee, ja, das würde sie aufmuntern!



Auch Avoki war in ihrem Bett eingeschlafen. Traumlos erwachte sie Stunden später.
„Huh, schon vier?“ murmelte sie verschlafen, als sie auf den Wecker neben ihrem Bett blickte. Sie hatten den halben Nachmittag verschlafen… Danke Narkolepsie, immer wieder eine Freude mit dir… warum verschlief sie nicht gleich die ganzen Weihnachtsferien? Oder besser noch, Winterschlaf… Nein, es hatte keinen Sinn sich über so etwas aufzuregen. Gähnend rappelte sie sich auf und ging erneut in Richtung Küche um erwartungsvoll in diese hinein zu spähen. Hm, Glück? Ein schwaches Lächeln erschien auf Avokis Lippen. Da saß er tatsächlich, der alte Trunkenbold, den sie ihren Vater nannte. Stock besoffen, aber immernoch eine halbvolle Flasche Bier auf dem Tisch. Als er sie erspähte griff er nach dieser. Das Mädchen erspähte den Brief ihrer Schule vor ihrem Vater auf dem Tisch. Klar, sie hatte ihn hier liegen lassen, nachdem sie wegen ihrer blutenden Stirn ins Badezimmer gestürmt war. Hatte er ihn gelesen? Hob er seine Bierflasche, um einen Trinkspruch zu ihren Gunsten zu sprechen? Falsch. Ihr Vater hob die Bierflasche über seinem Kopf und warf sie Avoki mit voller Wucht entgegen! Geschockt hob das Mädchen ihre Arme vor ihr Gesicht nur um kurz darauf einen stechenden Schmerz in ihrem rechten Arm zu verspüren, den die Flasche getroffen hatte. Noch dazu war der Alkohol aus der Flasche gespritzt und hatte das Mädchen übergossen.
Vor Schmerz schrie das Mädchen auf und begann zu weinen. Nicht bemerkte sie, wie ihr Vater in dieser Zeit aufgestanden war und auf sie zuging. Er packte sie an ihrem linken Arm und zog sie an diesem in die Höhe bevor er ihr mit seiner freien Hand eine saftige Ohrfeige verpasste. Avokis Geschrei verstummte, ihre Tränen stoppen schlagartig. Ihr fehlten die Worte, doch ihr Vater war so freundlich ihr seine Meinung zu sagen.
„Was blildest du dir eigndlich ein, du Balrg!! Dein gluter Vater schickt dich auf eine schölölöne Schule und du… du baust dort nur Mist!!“ brüllte er sie lallend an und rieb ihr den Brief ihrer Schule ins Gesicht. „Papa ic-“ Als Avoki ihm wiedersprechen wollte traf sie eine weitere Ohrfeige, die sie erneut zum Schweigen brachte.
„Wiedelsprich mir nicht, du kleileines Balrg!! Keie Ausreden!! Ich rede jez!!“ brüllte er weiter und zog den Arm des Mädchens noch höher in die Luft, so dass sie das Gefühl bekam, er würde ihn ihr ausreißen. Er zerknüllte den Schulbrief in seiner freien Hand und warf ihn über seine Schulter auf den Boden. „Du wils nich mehr in diese Schule gehen… äh, wirst, wirst! Verstanden!?“ Er gab dem Mädchen eine halbe Sekunde um zu antworten, bevor er ihr eine weitere Ohrfeige gab. „Verstanden!!??“ Dieses Mal ließ er ihr mehr Zeit. Tatsächlich ließ er ihren Arm los und sah zu wie das Mädchen vor ihm auf deren Knie sank. Er drehte ihr dann den Rücken zu und bewegte sich erneut auf den zerknüllten Schulbrief zu. Er duckte sich zu diesem hinab.
„Ein Blief von der Schule… und ich dakte ich hätte eile gute Toch-“ Weiter kam Avokis Vater mit seinen Worten nicht, denn seine Tochter stand wieder, mit blanker Leere in ihren Augen und der zu Boden gefallenen Bierflasche in ihrer rechten Hand. Sie hatte die Flasche mit voller Wucht auf den Hinterkopf ihres Vaters geschlagen.



„Halb fünf und die Straßen sind schon voll mit Leuten.“ murmelte Carol als sie sich durch die Menge schlängelte. Es schneite immernoch unaufhörlich, der Himmel wurde langsam dunkel und die vielen Weihnachtsbeleuchtungen dieser Jahreszeit wurden langsam eingeschalten. Viel hielt Carol nicht von Weihnachten, außer dass es für sie knapp zwei Wochen schulfrei und Zeit mit ihren Freunden bedeutete. Geschenke bekam sie zu Weihnachten keine, denn was sie wollte kaufte sie sich sowieso immer selbst – und ihre Eltern hatten immerhin sowieso keine Zeit, ihr etwas zu kaufen.
Bereits seit ein paar Stunden schlenderte sie nun ziellos durch Northtown und sah sich geschmückte Schaufensterauslagen an. Es war nicht gerade eine sinnvolle Beschäftigung, doch auf jeden Fall besser als den Tag alleine zu Hause zu verbringen.
Was ihre Freundinnen wohl gerade machten? Christbaum schmücken? Zu Hause sitzen und etwas mit ihren Eltern unternehmen? Ein Seufzen glitt ihr über die Lippen.
„Hey Papa, Northtown wird auch nicht untergehen, wenn du einen Tag Pause machst…“ murmelte sie zu sich selbst und blickte einen mehrere Meter hohen Weihnachtsbaum empor, der in der Mitte eines kleineren Platzes stand. Ja, sie könnten wirklich mal etwas Zeit für sie aufbringen.



„H-hey Papa, Papa, steh auf… steh bitte auf… Papa… Papa!“
Papa stand nicht mehr auf. Eine gute Menge an Blut und Scherben bedeckte den Küchenboden.
„Er war selber schuld, richtig?… Richtig?… Ich… ich hab mich nur gewehrt… die Polizei… nein… nein, ich kann nicht die Polizei rufen… aaaaah, was mach ich bloß, was, was, was… hehe… nein, nein, nicht lachen, das ist nicht witzig… nein, nein… Papa, Papa, Papa, komm, hör auf, das bringt dich doch nicht um, das kann dich nicht umbringen!“
Sie hob ihre Hände zu ihrem Vater und rüttelte an dessen Körper. Er war bereit etwas steif geworden, was es für das junge Mädchen schwer machte, die Position des ausgewachsenen Mannes auch nur geringfügig zu verändern.
„Hey… Papa… es tut mir Leid, es tut mir Leid, okay? Ich… ich wollte das nicht, nein. Ich… du hast mich nur wütend gemacht, das ist alles. Du kannst nicht… du kannst mir das nicht antun, okay… Papa? PAPA, komm hör auf, steh auf!! PAPA!!!“



Carol rieb ihre Handflächen aneinander und hielt sie zu einem offenen Lagerfeuer, das ein paar Jugendliche auf dem kleinen Platz mit dem großen Weihnachtsbaum angefacht hatten. Sie hatte sie gefragt, ob sie sich dazu setzen konnte und prompt hatte man ihr Platz gemacht. Diese Jugendlichen waren aus verschiedenen Altersstufen, jünger, älter, Mädchen und Jungen. Ein paar von ihnen schienen sich zu kennen, andere waren wohl wie sie dazu gestoßen.
„Na, wie heißt du?“ fragte sie plötzlich ein Junge von der Seite. Er war älter als sie und sein kurzes schwarzes Haar schimmerte im Licht des Lagerfeuers. Sie stellte sich ihm vor und erfuhr seinen Namen, woraufhin sie sich in ein Gespräch mit ihm verwickeln ließ.
„Und Kris, warum bist du hier und nicht bei deinen Eltern?“ fragte sie ihn dann nach einiger Zeit, woraufhin er überlegen musste und schließlich mit seinen Schultern zuckte. „Meine Eltern sind mir recht schnuppe. Ich treff mich lieber mit meinen Freunden, um zu feiern.“ gab er zu und grinste keck, während Carol ihm in die Augen sah.
„Tolle Freunde, hm? Meine haben heute alle keine Zeit, darum bin ich hier alleine unterwegs.“ gab sie schwach lächelnd zu, doch der Junge schüttelte nur seinen Kopf. „Ach was, wenn deine Freunde heute nichts zu tun gehabt hätten, dann wärst du sicher nicht hier vorbei gekommen, also hast du doch nur mehr Freunde dazu gewonnen, stimmt’s? Ist doch cool.“
„Wo du Recht hast…“ Carol lehnte sie etwas zurück und blickte grinsend in den dunkelblauen, spätabendlichen Himmel empor von wo ihr immernoch dicke Schneeflocken entgegen vielen. „Vielleicht ist heute gar kein so ein schlechte Tag.“

Nachdem sie eine gute halbe Stunde bei der Gruppe am Feuer gesessen hatte und sich mit ein paar von ihnen angefreundet hatte verabschiedete sie sich schließlich wieder von ihnen und überlegte, ob sie wieder nach Hause gehen sollte. Immerhin, was sonst sollte sie jetzt noch machen? Sich selbst zunickend stapfte sie folglich durch den Schnee, bis sie schließlich ein Poster an einem kleinen Weihnachtsbaum erkannte und Inne hielt, als sie es betrachtete.
„Martha und Berlinda… live, 20 Uhr?“ las sie und blickte sofort auf ihre teure Armbanduhr. Es war knapp nach 18 Uhr, also hatte sie noch Zeit. „Northpole-Platz.“ las sie dann weiter, um zu wissen, wo sie hin musste. Das war nicht so weit entfernt. Wenn sie jetzt losginge, würde sie dort sicherlich noch mindestens eine Dreiviertelstunde zu früh sein. Na also, somit war der Tag noch nicht vorbei.
Sich auf ihren Absätzen umdrehend machte sich Carol auf den Weg zu ihrem neuen Ziel.



Sie hatte sich beruhigt… endlich. Avoki hatte die Küche verlassen und war nun wieder in ihrem Zimmer. Die Leiche ihres Vaters… Sein Blut, der Alkohol. Sie hatte sich geduscht, doch immernoch spürte sie den Schmerz in ihrem rechten Arm… hatte die Wucht der Flasche ihn gebrochen? Fühlte sich das so an? Sie konnte ihn noch recht gut bewegen also eher nicht… Ihre linke Wange war aufgeschürft und gerötet von den Ohrfeigen ihres Vaters... Was sollte sie jetzt machen?
Sie konnte hier nicht bleiben. Jemand würde früher oder später herausfinden, was passiert sei und sie war die klare Täterin. Es gab tausende Beweise dafür, DNA-Spuren, Fingerabdrücke, das nur sie hier mit ihrem Vater lebte, der Brief der Schule… warum musste dieser angesoffene Typ auch alles falsch verstehen…
„Ah, das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um mich über ihn aufzuregen. Ich muss hier weg.“
Mit dieser Entscheidung sprang das Mädchen auf und suchte nach ihrer Schultasche. Schnell hatte sie alles Unwichtige aus dieser geleert und durchsuchte danach die gesamte Wohnung nach Dingen, die sie mitnehmen wollte – niemals sollte sie zurück kommen und ihre Schultasche war nicht allzu groß, also war es wichtig, überlegt zu entscheiden. „Verdammt, warum verlangst du von mir, jetzt Entscheidungen zu treffen, The City!? Warum kann ich jetzt nicht einfach einschlafen. Jetzt wäre die eine und einzige gute Zeit, meinen Körper etwas Entspannung zu geben!“ nörgelte sie herum, während sie sich durch ihr Hab und Gut grub. Sie vergaß auch nicht sich in den Zimmern ihrer Eltern umzusehen. Schlussendlich hatte sie einiges ihrer Kleidung, eine Menge Geld ihres Vaters, die wichtigsten Aufzeichnungen ihrer Mutter und einiges andere, ihr zu diesem Moment wichtig vorgekommene Zeugs, gepackt und sich angezogen. Sie hatte es nicht gewagt, einen weiteren Blick auf ihren Vater zu werfen und hatte sich zur Wohnungstür begeben.
„Das war's. Ich komme hier nie wieder zurück.“ sagte sie entschlossen zu sich selbst, bevor sie die Tür öffnete und nach draußen in den Schnee trat und die Tür hinter sich abschloss. Ihren Wohnungsschlüssel warf sie später in den nächstbesten Abwasserkanal.

Ziellos stapfte das Mädchen dann herum, ihren Kopf entweder auf den Boden vor sich oder in den Himmel gerichtet. Dies führte dazu, dass sie eine entgegenkommende Person nicht schnell genug bemerkte und sie beide im tiefen Schnee landeten.
„Ai… sorry, ich hab nicht aufgepasst.“ kam es von der Person, mit der Avoki zusammengestoßen war. Es war ein Mädchen mit blondem Haar und türkisgrünen Augen. Um ihren Hals trug sie einen Schal und ein Paar teurer Kopfhörer, auf ihm Kopf eine weiße Mütze und an hatte sie teure Kleidung, wobei insbesondere ihre Jacke hervor stach.



„Ah… was zur…?“ jammerte ein Mädchen, mit dem Carol gerade zusammengestoßen war als sie sich ihren Kopf kratzte. Carol war zu schnell gelaufen, als sie sich auf das Livekonzert freute, das später an diesem Abend noch auf sie wartete, und hatte nicht auf das Mädchen geachtet, welches ihr über den Weg gelaufen war. Dieses hatte mit roten Bändern gebundenes lila Haar und smaragdgrüne Augen. Gekleidet war sie in einem recht einfach wirkenden, weißen Gewand und ein Pflaster lugte unter ihrem Haar hervor.
„Na, auch auf dem Weg zu Marthas und Berlindas Livekonzert am Northpole-Platz?“ fragte Carol die Fremde, nachdem sie aufgestanden war und dem anderen Mädchen hilfreich ihre Hand hinhielt.
„Martha und Berlinda?!“ fragte das Mädchen zurück und griff nach kurzem Zögern nach Carols Hand, woraufhin diese ihr aufhalf. Sie blickte das lilahaarige Mädchen etwas verwirrt an.
„Du kennst Martha und Berlinda nicht? Sie sind-“ begann Carol, doch das Mädchen unterbrach sie mit ihren Händen wedelnd. „Nein nein, du hast mich falsch verstanden. Ich kenne die beiden, sie sind toll. Du sagst sie halten heute ein Konzert!?“
Carol musterte ihre Gegenüber und konnte sich ein Lachen bei deren Anblick nicht verkneifen. Das Mädchen mit dem sie sprach war völlig außer sich. War sie womöglich genauso ein Fan von Martha und Berlinda wie sie es war?
„Ja. Ja das hab ich gesagt. Willst du vielleicht zusammen hingehen?“
Das Mädchen öffnete deren Mund für eine sofortige Antwort, doch hielt sie sich offensichtlich zurück.

Avoki besah sich der Situation, in der sie sich befand. Dieses wildfremde Mädchen lud sie ein, mit ihr auf ein Konzert ihrer Lieblingsband zu gehen. Sie hatte gerade ihren Vater umgebracht. Avoki war für das blonde Mädchen hier ein unbeschriebenes Blatt. Sie war keine ihrer Mitschülerinnen und hasste sie nicht für ihr Wissen, da sie nichts von diesem wusste. Sie wusste nichts von ihr, gar nichts. Sie war ungefähr in ihrem Alter und ihrer Kleidung nach zu schließen reich… Avoki sah in dieser Fremden eine Chance für einen Neubeginn. Sie könnte hier von Null anfangen, vergessen was hinter ihr lag. Zum ersten Mal an diesem Tag stieg Hoffnung in ihr auf.
„Okay, gehen wir zusammen hin. Ich bin Avoki.“ sagte sie schließlich und streckte ihrer Gegenüber erneut ihre Hand entgegen, welche diese lächelnd in die ihre nahm. „Carol, das ist mein Name. Freut mich dich kennen zu lernen Avoki.“ stellte sie sich vor und blickte dann auf ihre Armbanduhr.
„Aber jetzt komm. Wenn wir nichts zu spät sein wollen, müssen wir uns auf den Weg machen.“
Ohne Avokis Hand loszulassen lief Carol los. Diese beschwerte sich nicht darüber und rannte mit.

Pünktlich erreichte das Duo neuer Freunde den Northpole-Park, wo zum einen eine große Bühne für das Konzert aufgebaut war, jedoch auch eine Menge Stände Platz fanden – hier wurde offensichtlich ein Weihnachtsmarkt gehalten. Avoki sah sich mit einem Leuchten in ihren Augen um als sie die verschiedenen Stände begutachtete, während Carol neben ihr her schritt und sich über die Freude im Gesicht ihrer Begleiterin erfreute. Sie selbst schien von den Ständen nur minder verzaubert, doch versuchte sie zumindest interessiert zu wirken.
„Hey, wollen wir uns vor dem Konzert noch einen kleinen Imbiss schnappen?“ fragte Avoki, als sie an einem Stand mit wunderbar riechendem Gebäck vorbei kamen, doch hielt sie Carol zurück. „Ich kann dich nicht davon abhalten, aber ich rate dir, deinen Hunger etwas aufzusparen.“ meinte sie und überredete ihre neue Freundin dazu, ihrem Rat zu folgen. Zusammen gingen die beiden dann weiter bis sie schließlich auf dem rechteckigen, freien Fleck Erde vor der Bühne ankamen.
„Ziemlich viel los hier.“ bemerkte Carol, während sie sich durch die Menge schlängelte, um einen Platz näher an der Bühne zu ergattern. Erneut hatte sie sich dabei Avokis Hand geschnappt und zog diese mit sich. „Ist es wirklich ok sich so vorzudrängeln?“ fragte diese unsicher, doch Carol ignorierte ihre Frage, bis die beiden knapp vor die Bühne gekommen waren. „Willst du lieber so weit hinten stehen, dass du Nichts siehst? So ist es doch viel besser, findest du nicht?“ bemerkte sie dann und blickte erneut auf ihre Armbanduhr. Es waren noch fünf Minuten Zeit.
„Warst du schon mal auf einem Konzert der beiden?“ fragte Carol nun, woraufhin Avoki ihren Kopf schüttelte. „Ich kenn Martha und Berlinda nur aus dem Fernsehen und dem Internet. Ich hab den Anfang ihrer Karriere vor zwei Jahren beim The City Songstars-Contest mit verfolgt und hab mich dabei so in die Stimmen der beiden verliebt, dass ich mir dann all ihre CDs gekauft hab.“
Carol strahlte. „Ein treuer Fan also. Schade, dass sie damals verloren haben. Ich finde, sie waren viel besser als new FLOWer.“ Avoki überlegte kurz, zuckte dann jedoch mit ihren Schultern. „Berühmt sind beide Gruppen geworden und ich vergönn‘s den Mädels von new FLOWer. Sie waren auch verdammt gut, egal wer jetzt besser war. Ich finde nur Martha und Berlindas Stil ist um einig- owow, es fängt an!“

Sofort brach die Menge in Jubel aus und übertönte alle anderen Geräusche auf dem Northpole-Platz, als das Musiker Duo, Martha und Berlinda, die große Bühne betraten.
„Hello everybody! Ich hoffe ihr seid alle gut draaaaaaauuuuuuf!?“ rief Martha sofort aus und sprang dabei in die Mitte der Bühne was ein erneutes Aufjaulen des Publikums zur Folge hatte. Die beiden waren einige Zwillinge und glichen sich bis auf das letzte Haar. Sie hatten violettes Haar, etwas heller als das Avokis und eisblaue, strahlende Augen. Gekleidet waren die beiden in schwarzen Kleidern mit weißen Enden, schwarzen Strümpfen und schwarzen Umhängen mit flauschigen, weißen Säumen. Das einzige was es neben deren Stimmen ermöglichte, die beiden voneinander zu unterscheiden waren schwarze Schleifen, die sie in ihren Haaren trugen. Martha trug ihres auf der linken Seite, Berlinda ihres auf der rechten.
„Wonderful! Dann wollt ihr, das wir anfangen!?“ setzte Berlinda dann fort und kam an die Seite ihrer Schwester und schmiegte sich an deren Seite. Ein einstimmiges, lautes „Ja“ folgte aus der Menge.
„Okay everybody, ihr habt es so gewollt!“ rief Martha dann wieder, während die beiden etwas nach hinten traten. „Ready? Es ist Zeit für The Silent City!!”

Auf den Song, The Silent City, folgten noch sieben weitere des Duos, immer wieder mit einigen Pausen in denen die beiden fast zu Comedians ausarteten – wohl ein weiteres Talent des flotten Gespanns. Problemlos schienen sie es zu schaffen ihr treues Publikum für eine volle Stunde zu unterhalten, ohne viele von ihnen dabei beobachten zu müssen, wie sie von dannen zogen.
Carol und Avoki waren unter den vielen, die gebannt mitfiebert, bei Liedern mitsangen, ihre Arme in der Luft schwenkten und über jede komische Einlage der beiden Entertainer lachen mussten. Die beiden hatten einen unglaublichen Spaß und fanden sich oft dabei wieder, wie sie sich gegenseitig anlächelten und dazu anfeuerten, noch mehr Power in ihr Mitfiebern zu stecken. So viel Spaß, dass sie tatsächlich endlich einmal alles vergessen konnten, dass ihnen Unwohl war.
„You were wonderful! Ein super Publikum. Ich hoffe wir sehen uns bei einem unserer nächsten Konzerte wieder! Good bye!“ Einstimmig verabschiedeten sich die Sängerinnen dann, als sie Hand in Hand und unter bebendem Applaus von der Bühne gingen.

„Wow, das war stark!“ freute sich Avoki, als die Menge sich langsam aufzulösen begann, zu Carol, welche nur stumm nickte und grinste. „Ja, und du hast es umso besser gemacht. Alleine hätte das nie so viel Spaß gemacht.“ gab sie zu, woraufhin Avoki ihrer neuen Freundin in die Arme viel und diese an sich drückte. „Danke, dass du mich hierher mitgenommen hast.“ sagte sie voller Freude, während sie sich schon wieder von Carol abstieß. „Und was machen wir jetzt?“ fragte sie sie dann gleich weiter, aufgeregt, noch mehr zusammen zu unternehmen.
Als würde sie nachdenken müssen hob Carol ihren Zeigefinger an ihr Kinn. „Ich weiß nicht, was meint ihr zwei?“ fragte sie dann und blickte offensichtlich an Avoki vorbei. Diese drehte sich sofort um, nur um völlig geschockt einen Schritt nach hinten zu tun.
„No idea~“ „Nichts da ‚keinen Plan‘, ich hab hunger Sis, wir gehen jetzt was essen!“
„Wawawawa-.“ Avoki war völlig perplex als sie sich Martha und Berlinda gegenüber sah. Die beiden musterten sie mit einem Lächeln, während Martha sich dann an Carol wandte.
„New friend? Sie kommt auch mit?“ fragte sie diese freudig, während Avoki verwirrt zwischen der Sängerin und Carol hin und her blickte. „Erklärt mir mal jemand, was hier abgeht!?“ Carol nahm die verwirrte Avoki an deren Hand und nickte Martha zu. „Das ist Avoki, ich hab sie heute getroffen. Sie ist ein riesen Fan von euch.“ erklärte sie mit einem Seitenblick zu dem erwähnten Mädchen, nur um sich dann ganz an diese zu wenden. „Martha und Berlinda sind gute Freundinnen von mir. Sorry, das ich es dir verschwiegen habe, aber ich konnte mir die Überraschung in deinem Gesicht nicht entgehen lassen.“ Avoki fiel dazu nur ein halb geöffneter Mund ein, bevor sie Carol, unter dem Lachen der Sängerinnen, erneut in die Arme fiel.

Zu viert hatten sich die Mädchen dann ein teures Restaurant gesucht. Da Carol dies schon zuvor geplant hatte, war es auch kein Wunder mehr, dass sie Avoki davon abgehalten hatte, schon vor dem Konzert etwas zu essen. Nachdem sie einen Platz gefunden hatten, an dem sie in Ruhe miteinander plaudern konnten, setzten sie sich.
„Bestellt was ihr wollt. Die Rechnung geht auf mich.“ kündigte Carol dann sofort lächelnd an. Avoki war nun mehr bestätigt als jemals zuvor, das ihre neue Freundin reich war, doch sagte sie nichts dazu außer einem „Danke“ in das auch die Zwillinge einstimmten.
„Avoki, you have a nice voice. Bist du auch eine Sängerin?” fragte Berlinda dann irgendwann, während das Essen schon begonnen hatte. Eine leichte Röte schlich sich in Avokis Gesicht bevor sie antwortete.
„N-nicht wirklich, nein. Ich meine, ich singe gerne, aber nicht professionell oder so.“ erklärte sie leicht beschämt, da noch nie wirklich jemand sie darauf angesprochen hatte. „You should. Deine Stimme klingt wirklich, als könnte etwas daraus werden. Right sis?“ Berlinda blickte zu ihrer Schwester, welche lächelnd nickte. „Sure, wenn du wollen würdest, könntest du sicher fast so gut sein wie wir.“ erwiderte sie lächelnd. „Hey, ärger sie nicht~“ setzte Berlinda sogleich kichernd nach, als sie die Betonung auf das Wort „fast“ gehört hatte.

Noch lange saßen die vier zusammen und tratschten über die verschiedensten Dinge. Musik, Kleidung, was sie erlebt hatten, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten und mehr. Die Zeit verging dabei wie im Flug und schließlich erschien ein kleiner, rundlicher Mann im Restaurant, welcher sich als Marthas und Berlindas Manager herausstellte.
„Ah, Miss Scrooge, ich habe es mir schon gedacht, das sie meine Mädchen entführt haben.“ bemerkte er, als er sich dem Tisch der vier Mädchen genähert hatte und blickte dann zu Avoki. „Und eine neue Freundin, wie ich sehe? Ich bin Marthas und Berlindas Vater und Manager, Tim Cratchit, du kannst mich aber gern Tiny Tim nennen.“ stellte er sich ihr vor und reichte ihr seine Hand, woraufhin auch sie sich ihm vorstellte.
„Ich würde mich ja gerne zu den Damen gesellen und über neue Kleider und Stöckelschuhe diskutieren doch leider ist mein Wille ein anderer.“ gab er dann sich räuspernd bekannt und wandte sich seinen Töchtern zu. „Wir müssen los Mädchen, sonst kommen wir nicht rechtzeitig zu eurem nächsten Konzert morgen früh.“
Nur ungern erhoben sich die beiden Sängerinnen daraufhin. Sie schüttelten Hände und tauschten Wangenküsse mit Carol und Avoki aus bevor sie sich mit ihrem Vater auf den Weg machen. „See you again, bis zum nächsten Mal!“ hatte Martha noch einmal über ihre Schulter winkend in den Saal gerufen, bevor die beiden Mädchen aus Northtown alleine zurück blieben. Es dauerte noch ein bisschen, bis Carol all das Essen, das die vier verdrückt hatten, bezahlt hatte, bevor sich das Freundinnenduo wieder auf den Weg machte.

„Hey Avoki, ich glaub ich bin wirklich genug für heute rumgelaufen. Wenn du willst, kannst du gerne mit zu mir kommen. Niemand zu Hause.“ stellte Carol dann irgendwann zwischen einigen Gesprächen fest und streckte sich, um ihre Müdigkeit anzudeuten. Tatsächlich war es nun bereits fast 22 Uhr. Für Avoki wiederum kam dieser Vorschlag gerade Recht. Sie hatte eine Bleibe - zumindest für diese Nacht. Was danach kam, würde sie sich erst später überlegen. „Bei mir ist auch niemand zuhause, also nehme ich das Angebot gerne an.“ erwiderte sie schließlich breit lächelnd woraufhin die beiden wieder in andere Gespräche verfielen.
Der Weg zu Carols Zuhause war vom Northpole-Platz aus knapp eine halbe Stunde lang. Als sie ihn halb hinter sich gebracht hatten und die Anzahl an Personen, die die Straße mit ihnen teilten gleich Null war vernahmen sie dann plötzlich eine Stimme.
„Zopas! Hey, Zopas!“
Es war die Stimme eines Jungen. Carol drehte sich sofort um, um zu der einzigen anderen Person zu blicken, die mit ihnen um diese Zeit auf der Straße war. Knapp 50 Meter lagen zwischen ihm und den Mädchen.
„Ein Freund von dir?“ fragte Carol dann lächelnd in Avokis Richtung, wo sie bemerkte, dass diese wie erstarrt in der Position war, in der sie schon gewesen war, als der Junge ihren Namen gerufen hatte. Nun schüttelte sie fast bewegungslos ihren Kopf. Der Junge war kein Freund von ihr.
„Klassenkamerad.“ presste sie leise zwischen ihren Lippen hervor.
„Hey, Zopas! Hab mitbekommen, du hast heute deinen Vater gekillt! Scharfe Sache das!“
Carols Augen weiteten sich, während sie aus ihren Augenwinkeln zu Avoki blickte. Deren schreckverzerrtes Gesicht sprach tausendmal, dass der Junge die Wahrheit sprach. Dieses Mädchen, mit dem sie den Abend verbracht hatte, mit der sie so viel Spaß hatte, mit der sie so viel gesprochen hatte, mit der sie sich ein Konzert ihrer Lieblingsband angesehen hatte, mit der sie ihre besten Freundinnen geteilt hatte… war eine Mörderin… hatte ihren Vater ermordet… das passte nicht zu dem Mädchen… der Junge musste lügen, aber Avoki log nicht. Ihr Körper log nicht.
Avoki blickte aus ihren Augenwinkeln zu Carol, welche neben ihr stand. Alles war vorbei. Sie war kein unbeschriebenes Blatt mehr für Carol, sie war dieselbe verdammte Avoki wie für alle anderen… nein, sie war die Mörderin Avoki. Sie beobachtete wie Carol ihre Seite verließ und näher auf den Jungen zu trat. Sie wagte es nicht, ihr hinterher zu blicken. Die Angst davor, was jetzt mit ihr passieren würde ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
So vieles war an diesem Tag gut verlaufen, doch schlussendlich war alles wieder, wo es angefangen hatte… wenn nicht sogar noch schlimmer.
Der kalte Schauer wurde kälter. Immer kälter und kälter… war das nicht nur so ein Spruch? ‚Mir läuft es kalt den Rücken herab.‘ … das konnte unmöglich so kalt werden, oder? Zaghaft wagte es Avoki über ihre Schulter zu blicken und was sie sah sprach entgegen jeder ihrer Vorstellungen. Carol, umgeben von einem leichten türkisen Schimmer, stand mit zur Seite ausgestreckten Armen hinter Avoki, als würde sie sie vor dem Jungen beschützen. Sie war eine Mutantin? … Eiskontrolle? Das kam überraschend… doch nicht so überraschend wie der Fakt, dass sie sie beschützte.
„Ca…rol?“ kam es leise über Avokis Lippen, während sie das Mädchen musterte. „Avoki, wir sind Freunde, richtig?“ erwiderte diese nur mit kühler Stimme. „Abe-“ „Wir sind Freunde, richtig!?!“ setzte Carol sofort nach, als Avoki ihr widersprechen wollte. „J-ja, Carol, abe-“ „Nichts aber. Es gibt kein aber. Wir sind Freunde und Freunde sind für einander da. Durch dick und dünn und so weiter. Lass mich jetzt nicht hängen.“ Avokis Augen öffneten sich weit. Sie war Carol etwas wert… sie spürte es, trotz der unbarmherzigen Kälte, die von dem Mädchen ausging, spürte sie aus ihrem Inneren eine gewisse Wärme. „Wir sind Freunde, Carol.“ sagte sie leise und konnte es sich nicht verkneifen eine Träne zu lassen. „Gut, dann renn ja nicht davon, Avoki, denn wenn, dann rennen wir zusammen!“

Das Geräusch von klatschenden Händen brach die Stimmung unter den zwei Mädchen. Der Junge, der all das Geschehen der letzten Minuten beobachtet hatte, klatschte geräuschvoll in seine Hände, bis er die Aufmerksamkeit der anderen wieder bei sich hatte.
„Ist ja wunderbar. Zopas hat eine Freundin gefunden. Wie romantisch. Nun, leider hilft euch das gar nichts, denn wieso glaubt ihr, weiß ich überhaupt von dem Mord an Avokis Vater?“
Avoki und Carol blieben stumm.
„Na is jetz nich so schwer. Die Polizei hat die Leiche gefunden und jeden angerufen, der wissen könnte, wo du steckst. Jeden aus unserer Klasse, unsere Lehrer. Jeder weiß, was du gemacht hast, Zopas, jeder! Bald weiß es ganz The City! Man wird dich jagen. Jagen!! Dich und deine neue Freundin!!“
Ein verrücktes Lachen hallte über die Straße, doch Avoki und Carol blieben ruhig. Was er ihnen nun gesagt hatte, war ihnen egal. Sie hatten sich bereits damit abgefunden. Sie beide hatten kein Leben zu verlieren, so war ein gemeinsames Leben auf der Flucht womöglich sogar die bevorzugte Lösung...
„Bitte, darf ich ihm das Maul stopfen? Er nervt.“ bemerkte Carol nun leise zu Avoki, welche schwach lächelnd nickte und sich die Tränen aus aus den Augen strich. Alles war gut, dachte sie, als ein Schneesturm die Straße überrollte.

Den nervigen Jungen auf Eis gelegt, hatten die beiden Mädchen ihren Weg zu Carols Zuhause fortgesetzt. Niemand außer dem Jungen hatte zu diesem Zeitpunkt von Carols Mithilfe gewusst, so konnten sie das Anwesen der Scrooges zumindest vorerst zu deren Unterschlupf machen.
Zusammen sollten sie sich dann durch einige Monate ihres Lebens schlagen, bis schließlich jemand scheinbar Allwissendes ihnen ein Angebot machte, dass sie nicht ablehnen konnten…



„The City braucht jemanden wie euch! Schließt euch mir an, und ihr werdet eure Vergangenheit rein waschen können! Es ist eure einzigartige Chance, Helden zu werden! Ihr kennt sie sicher... The City Safers!“
Die beiden Mädchen sahen einander an und nickten sich zu. Ein Mädchen mit Flügeln wie Christbaumschmuck war ihr Stern zum Glück, ihr Tor zu einer besseren Zukunft...

[Bild: iCjLV3S.png][Bild: 43066_s.gif][Bild: l1r9YGL.png]

Suchen



Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste